Gut beraten?

Gut beraten?

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Beratung ist kein Kolloquium

Was kann ich wissen? und Was soll ich tun? sind zwei unterschiedliche Fragen. Der Clou bei Kant, von dem sie stammen, war genau dies: zwischen ihnen zu unterscheiden. Beratung ist kein akademisches Kolloquium. Sie reagiert auf Was soll ich tun? und adressiert damit die praktische Vernunft. Es stellt sich dabei erkenntnistheoretisch nicht die Frage nach einer Höherwertigkeit von praktischem oder wissenschaftlichem Wissen. Aus der Forschung zu Transdisziplinarität können wir im Gegenteil wissen: Erfahrungswissen und Reflexionswissen ergänzen sich wunderbar. Relevant ist also nicht, das eine dem anderen über oder unter zu ordnen. Relevant ist die systematische Selbstprüfung der praktischen Vernunft, wie Manfred Riedel einst Ethik definierte (in: Norm und Werturteil). An welchen Kriterien beurteilen wir, ob ein Rat gut oder schlecht ist?

Die Macht der Ratgeber: Über Scharlatane, Gurus und die Hybris der Praxis
Es ist eine merkwürdige Zeit. Eine Zeit, in der sich intellektuelle Autorität nicht mehr aus Wissen speist, sondern aus Sichtbarkeit. Eine Zeit, in der Ratgeber zu Propheten stilisiert werden – je kürzer der Satz, desto größer das Vertrauen. Je apodiktischer die Aussage, desto viraler ihre Verbreitung. Man muss nicht lange suchen, um zu verstehen, wie … Die Macht der Ratgeber: Über Scharlatane, Gurus und die Hybris der Praxis weiterlesen

Im Horizont der neuen Denkfaulheit, die Gunnar Sohn im Blog aufs Korn nimmt, entsteht hier ein entscheidender Unterschied: die aktuell mehrheitlich gefeierten »Männer mit schnellen Antworten« (GS) orientieren sich (in der Tendenz) am Eigennutz; wissenschaftliche Analyse hingegen (in der Tendenz) am Gemeinwohl, mindestens jedoch nicht an partikularen Interessen. Dass Unbestechlichkeit von Wissenschaft ein wichtiger Aspekt von Wissenschaftsfreiheit ist, habe ich vor kurzem hier argumentiert.

Beratung als kulturelle Bildung

Wer von Beratung redet, darf also von Ethik nicht schweigen. Zuallererst sollten wir klären, was uns wichtig ist, was wir achten und was wir ächten, oder in der allgemeinsten Formulierung: wie wir leben wollen. Damit geht es weniger um den (ohnehin unseriösen) Versuch der Vorwegnahme der zukünftigen Gegenwart als vielmehr darum, das Vorstellungsvermögen über die gegenwärtige Zukunft zu bilden. Beratung als kulturelle Bildung: Ob dafür die Thiels und Musks dieser Welt die Ansprechpartner erster Wahl sind?